Schlau verpackt

Wie kollaborative Applikationen Verpackungsprozesse erleichtern

Wachsende Ansprüche auf Verbraucherseite, hoher Wettbewerbsdruck und Fachkräftemangel: Diese Herausforderungen sind auch in der Verpackungsindustrie Realität. Eine Möglichkeit, den Anforderungen kosteneffizient zu begegnen, ist die kollaborative Automatisierung der Produktion. Kollaborierende Roboterarme lassen sich in Kombination mit intelligenten Greifwerkzeugen flexibel an individuelle Anforderungen anpassen, sind leicht zu implementieren und steigern so die Effizienz von Produktionsprozessen – angesichts schneller Amortisationsraten eine Lösung, die besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) hilft, wettbewerbsfähig zu bleiben.

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Man soll bekanntlich Dinge nicht nach ihrem Äußeren beurteilen. Gerade aber bei Konsumgütern spielt die Verpackung für den Verkaufserfolg eine entscheidende Rolle, ist sie doch das Aushängeschild eines jeden Produkts. Je auffälliger desto besser, je individueller desto stärker fühlt sich der einzelne Kunde angesprochen. Der Stellenwert der Verpackung innerhalb der Wertschöpfungskette ist dementsprechend hoch.

Ebendieser Trend zu mehr Individualität bringt einschneidende Veränderungen für die Verpackungsindustrie mit sich: kleinere Losgrößen, mehr Produktvarianten und -größen sowie der zu verarbeitenden Materialien. Ebenso hat die Branche mit steigendem Termindruck und höheren Ansprüchen an die Nachhaltigkeit der Produktionsprozesse zu kämpfen. Für die Verpackungsindustrie heißt das konkret: Höhere Flexibilität, effizientere Prozesse und nachhaltigeres Wirtschaften sind gefragt. Mit Blick auf den aktuellen Fachkräftemangel keine leichte Aufgabe.

Automatisierung als Chance für KMU

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind Industrieroboter für Großunternehmen schon lange ein probates Mittel, die Effizienz ihrer Produktion zu erhöhen. Für KMU stellt die Automatisierung bisher noch eine größere Hürde dar, da intern oftmals das nötige Know-How fehlt und wesentlich kleinere Budgets für Investitionen zur Verfügung stehen. Eine neue Generation von kollaborierenden Leichtbaurobotern, sogenannte Cobots, spielt KMU dabei in die Hände. In Kombination mit End-of-Arm-Tools wie Greifern, Werkzeugwechslern und Sensoren bezeichnet man sie als kollaborativen Applikationen. Diese bieten eine kostengünstige und platzsparende Alternative zu herkömmlichen Industrierobotern. Seite an Seite arbeiten sie ohne Schutzzaun mit Produktionsmitarbeitern und nehmen ihnen monotone und belastende Tätigkeiten ab, wie zum Beispiel Verpacken oder Palettieren.

Gerade bei repetitiven, aber körperlich anstrengenden Pick-and-Place-Aufgaben sorgt kollaborative Robotik für Entlastung. Durch kurze Implementierungs- und Umbauphasen lassen sich entsprechende Applikationen schnell an neue Aufgaben und Produkte anpassen. Umbauprozesse, die zuvor Stunden gedauert haben, benötigen so nur noch wenige Minuten. Teure Produktionsstopps lassen sich dadurch vermeiden. Ihre intuitive Bedienbarkeit macht die Applikationen innerhalb weniger Minuten für neue Aufgaben einsatzbereit, dafür benötigen Mitarbeiter keine Programmierkenntnisse.

Das Zusammenspiel aus Roboterarm und kollaborierenden Endeffektoren erlaubt, mit ein und demselben Arm unterschiedlichste Tätigkeiten zu automatisieren. Dies sorgt für einen schnellen Return-on-Investment, und die Anschaffung refinanziert sich oft schon innerhalb eines Jahres. Für die Produktion im Ganzen bedeutet das mehr Effizienz, Skalierbarkeit, optimierte Prozesse und im Umkehrschluss auch niedrigere Kosten. Zudem werden Mitarbeiter zugunsten anspruchsvollerer Aufgaben entlastet.

Applikation automatisiert Produktion bei Plus Pack

Wie kollaborative Applikationen bei der Herstellung von Lebensmittelverpackungen unterstützen, zeigt der Fall Plus Pack. Der dänische Mittelständler entwickelt und produziert insgesamt über 1.000 unterschiedliche Verpackungen aus Aluminium und Plastik für die Lebensmittelindustrie. Die steigende Individualität der Verpackungslösungen sowie der Fachkräftemangel machten auch vor Plus Pack keinen Halt. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, seine Produktionsprozesse dauerhaft zu verbessern und seine 200 Mitarbeiter von monotonen, anstrengenden Tätigkeiten zu entlasten, stieß Plus Pack auf die Automatisierungslösungen von Onrobot.

Plus Pack war es wichtig, dass die Automatisierungslösung direkt neben dem Menschen eingesetzt werden und den Mitarbeitern zuarbeiten kann. Daher nutzt das Unternehmen heute eine kollaborative Applikation, die aus einem Cobot und einem RG6-Greifer von Onrobot besteht. Dieser verfügt über individuell justierbare Fingerspitzen und kann dadurch Gegenstände unterschiedlicher Form und Größe flexibel handhaben. Zusammen automatisieren Roboterarm und Greifer einen Prozessschritt, bei dem ein Mitarbeiter zuvor Stapel von Aluminiumschalen aufeinander stecken musste, um die Luft zwischen ihnen herauszudrücken. Dieser händische Prozess erforderte viel Kraft und war sehr anstrengend. „Diese körperliche Belastung haben wir den Mitarbeitern nun abgenommen“, erklärt Bastian Fietje, zuständiger strategischer Projektmanager bei Plus Pack.

Mit der Applikation steigert Plus Pack zudem seine Produktivität, da die Umrüstung der Produktionslinie viel schneller erfolgt. Die Prozesse können nun viel flexibler abgewickelt werden, erklärt Fietje: „Wir haben sehr viele unterschiedliche Kunden und Produkte, für die wir individuelle Verpackungslösungen herstellen.“ Plus Pack-Projektmanager Simon Laigaardergänzt: „Hätten wir ein separates Tool für jedes Produkt bauen müssen, wären die Kosten wesentlich höher gewesen. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit der kollaborativen Applikation sehr einfach. Die Fingerspitzen des Greifers zu wechseln verlangt nur wenige Schraubzüge.“

Plug-and-Play-Lösungen für Verpackungsroboter

Das Beispiel Plus Pack zeigt: Entscheidender Punkt jedes Automatisierungsvorhabens ist die richtige Kombination von Roboterarm und einem End-of-Arm-Tool, das die relevanten Objekte nach Bedarf flexibel handeln kann. Neben individualisierbaren Zwei-Fingergreifern sind auch Vakuumgreifer eine beliebte Lösung, um Verpackungsprozesse zu automatisieren. Sie eignen sich vor allem für das Handling großer, flacher Gegenstände. Im Gegensatz zu Zwei-Fingergreifern fassen sie das Objekt nicht auf beiden Seiten, sondern saugen es an. Insbesondere Modelle mit verstellbaren Armen und anpassbarer Saugstärke, wie etwa der VG10 von Onrobot, sind aber auch in der Lage, flache Objekte unterschiedlicher Größe und Form zu heben.

Gerade bei Automatisierungsvorgängen mit mehreren Schritten profitieren die Prozesse durch diese Dual-Gripping-Funktion: Durch zwei unabhängig voneinander steuerbare Luftkanäle der integrierten elektrischen Vakuumpumpe ist der VG10 etwa in der Lage, mehrere Objekte gleichzeitig zu handhaben. Durch eine variable Zahl an montierbaren Saugnäpfen lassen sich Vakuumgreifer innerhalb kürzester Zeit an unterschiedliche Produkte anpassen. Beim VG10 sind es beispielsweise 16 Stück.

Soll es eine platzsparendere und noch flexiblere Version sein, so greift der VGC10 von Onrobot: Er zeichnet sich durch seine kompakte Form und ein reduziertes Eigengewicht aus. Dies kommt vor allem engen Produktionsumgebungen zugute sowie Roboterarmen mit geringer Traglast. So bleibt mehr Kraft für das zu greifende Objekt.

Effizienzsteigerung und Entlastung der Mitarbeiter

Beim Verpackungsprozess sind kollaborative Applikationen somit eine große Unterstützung, die die Produktion skalierbar macht und Mitarbeiter zugunsten anspruchsvollerer Tätigkeiten entlastet. Durch das Zusammenspiel aus kollaborierendem Roboter und einem End-of-Arm-Tool, das sich flexibel an die unterschiedlichen Produkte anpasst, können Unternehmen wie Plus Pack die Vorteile der Automatisierung voll ausschöpfen. Dies sorgt für eine schnelle Amortisation der Investition und wappnet Firmen gegen den aktuellen Fachkräftemangel. Zudem ermöglicht es ihnen einen effizienten Umgang mit zunehmend kleinen Losgrößen. So garantieren kollaborative Applikationen den Kunden der Verpackungsindustrie auch zukünftig ein buntes Portfolio mit Verpackungslösungen für alle Fälle. (jak)

Jan Kaulfuhs-Berger

Chefredakteur, Zeitschrift Technische Logistik - Hebezeuge Fördermittel
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