Nachhaltiges Hängefördersystem

Langzeitprüfung der Funktionskomponenten aus nachwachsenden Rohstoffen

Der Einsatz nachwachsender Rohstoffe in einem Hängefördersystem stand im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts der TU Chemnitz mit einem Industriepartner.1) Erfolgreich abgeschlossen wurde die Entwicklung eines Trag- und Gleitelements aus Wood Polymer Composite sowie einer Weiche in Mischbauweise. Die Funktionsfähigkeit der Komponenten, die viele Nutzervorteile mit sich bringen, wurde in einem Dauerlauftest nachgewiesen.

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Hängefördersystem mit Funktionselementen aus WPC Bild: TU CHEMNITZ
Hängefördersystem mit Funktionselementen aus WPC Bild: TU CHEMNITZ

Mit dem Ziel, vorhandene Ressourcen nachhaltig und effizient zu nutzen, hat ein Forscherteam des Instituts für Fördertechnik und Kunststoffe der TU Chemnitz in Kooperation mit dem Unternehmen Novo-Tech untersucht, wie sich die metallischen Gleitelemente eines konventionellen Hängefördersystems substituieren lassen. Als Alternativlösung zur Aluminiumbauweise im unteren Lastbereich wurde ein kombiniertes Trag- und Gleitelement aus Wood Polymer Composite (WPC) entwickelt. Diese Lösung zeichnet sich nicht nur durch vorteilhafte technische Eigenschaften aus, sondern ermöglicht auch eine Halbierung der Selbstkosten [1, 2]. Zugleich wird ein Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet, denn mit der Nutzung von Holz aus einheimischer Forstwirtschaft wird CO2 gespart bzw. gespeichert. Außerdem lässt sich das neuentwickelte Element nach dem Erreichen der Produktlebenszeit vom Hersteller recyclen – das auf thermoplastischem Kunststoff basierende Material kann dem Kreislauf wieder zugeführt werden.

Die Verknüpfung der technischen, ökonomischen und ökologischen Vorteile des neuen Profils ermöglichte bereits einen bedeutsamen Mehrwert. Durch die Herstellung einer Weiche in Mischbauweise aus Stahl, WPC und einem Holzfurnierlagenverbundwerkstoff konnte zusätzlich das Gewicht der bewegten Teile des Hängeförderers um 50 % verringert werden, was ebenfalls zur Energieeinsparung im Betrieb beiträgt.

Ablauf und Gegenstand der Untersuchungen

Der eingesetzte Werkstoff WPC bringt wegen seines viskoelastischen Verhaltens jedoch den Nachteil mit, dass es im Laufe der Betriebszeit zu einer zunehmenden Biegeverformung der Funktionselemente (Kriechen) sowie zu einem Lockern der Schraubverbindungen (Vorspannkraftverlust) kommen kann. Zur Analyse dieser zeitabhängigen Effekte musste das Langzeitverhalten des Systemprofils im dauerhaften Gebrauch eines Hängeförderers ermittelt werden. Nur so lässt sich ein sicherer Praxiseinsatz gewährleisten.Folglich wurde ein entsprechender Funktionsprototyp des Hängefördersystems (Bild 1) errichtet, der wirklichkeitsgetreue Dauerlauftests sowie die Integration der erforderlichen Messtechnik ermöglichte. Die gewichtsoptimierte Weiche bildete den Mittelpunkt der prototypischen Förderanlage. Von ihr aus war der Hängeförderer symmetrisch aufgebaut und in vier Streckensegmente unterteilt. Statt der herkömmlichen Aluminiumprofile kamen die neuen WPC-Elemente zum Einsatz. Auf den geraden Abschnitten wurden die Hohlprofile formschlüssig aneinandergereiht und mit einer speziell angepassten, individuell justierbaren Verbindungstechnik an ein Stahlgestell geschraubt. Mithilfe gekrümmter Frästeile aus WPC, die in die Hohlprofile gesteckt und durch Schrauben an ihnen fixiert wurden, ließen sich diese Streckensegmente schließlich auch in den Kurvenbereichen miteinander vereinen.

Über die schrägen Seitenwangen der Funktionselemente konnten die Laufräder des Förderzugs rollen. Dieser wurde auf einer Länge von 1,6 m mit einem Gewicht von 80 kg bestückt und leitete somit im bewegten Zustand eine gleichmäßige Streckenlast von 50 kg/lfm in das System ein. Da die einzelnen Profile punktuell am Stahlgestell hingen, unterlagen sie vereinfacht einer Dreipunktbiegung zwischen zwei Aufhängungen und einer Zugbelastung in den Verbindungsstellen.

Zum Erfassen der Durchbiegung in den kritischen Stellen wurden die geraden Streckensegmente jeweils in der Mitte zweier Aufhängungen mit je einem Wegmesssensor ausgestattet (Bild 2). Zur Detektion der Schraubenvorspannung dienten Kraftmessringe, die in den Schraubverbindungen an zwei Profilanschlüssen der Weiche sowie in der Verbindungsstelle einer WPC-Kurve zum Hohlprofil eingebunden waren (Bild 3).

Weiterhin galt es, das Verschleißverhalten der Funktionselemente einzuschätzen. Hierzu wurde nach Abschluss des Dauerlauftests eine der WPC-Kurven aus dem Funktionsprototypen einem unbelasteten Referenzbauteil gegenübergestellt.

Simulierte Laufzeit: 50 Jahre

Der Versuch lief über eine Zeitspanne von 416 Tagen respektive 10.000 Betriebsstunden. Dies entspricht einer Laufzeit im realen Praxisbetrieb von etwa 50 Jahren [3]. Das Bewegungsschema der Förderanlage wurde mit Ausnahme von Störungen ununterbrochen abgespielt und dabei regelmäßig überwacht. Die Kraft- und Wegmesswerte wurden in fünfminütigen Intervallen im Abstand von Tagen bis Wochen aufgezeichnet. Dabei wurden jeweils drei Bewegungszyklen vollständig durchlaufen. Zur Auswertung des Dauerlauftests dienten letztlich nur die einzelnen Maxima. Verschleißspuren wurden mithilfe berührungsloser Oberflächenmesstechnik erkannt.

Ergebnisse des Dauerlauftests

Im Bild 4 lässt sich die zeitliche Entwicklung der Schraubenvorspannkraft in den drei überwachten Verbindungsstellen im Laufe des Testbetriebs nachvollziehen. Wenig überraschend für eine Anwendung, bei der es Komponenten aus viskoelastischen Werkstoffen zu verbinden gilt, ist ein signifikanter Rückgang der jeweiligen Vorspannung zu verzeichnen. In der Schraubverbindung am ersten Profilanschluss (Pos. 1) fiel die Vorspannkraft um 19 % ab. In den Schraubverbindungen am zweiten Profilanschluss (Pos. 2) und an der Kurve zum Profil (Pos. 4) beläuft sich der Verlust sogar auf 44 % bzw. 31 %. Da die Schraubverbindung am ersten Profilanschluss zehn Tage nach Versuchsbeginn nochmals nachgezogen werden musste, fällt der zugehörige Vorspannkraftverlust deutlich geringer aus als der am zweiten Profilanschluss. Der in [4] nachgewiesene Effekt beim Nachziehen von WPC-Direktverschraubungen zeigt auch in dieser Anwendung seine positive Wirkung.

Bild 5 verdeutlicht die maximalen Biegeverformungen der beiden WPC-Profile im zeitlichen Verlauf des Dauerlauftests. Die aufgezeichneten Verformungswerte lassen sich als charakteristisch für die Kriechverformung von Holzwerkstoffen und Kunststoffen beschreiben. Am Ende des Versuchs tritt eine Durchbiegung von bis zu 0,72 mm auf. Da sich in der Anwendung des WPC-Profils als Trag- und Gleitelement in einem Hängeförderer konstruktive Parallelen zu Brückenkranen ziehen lassen und mit der Dreipunktbiegung ein ähnlicher Lastfall vorliegt, wurde zur Auslegung der Dauerbelastung der Funktionskomponente auf Erfahrungen beim Anwenden der Kranbaunorm zurückgegriffen. Der Erfahrungswert liegt bei einer maximal zulässigen Durchbiegung von L/500 (in mm) [5]. Übertragen auf das WPC-Profil im Funktionsprototypen, würde dies einer maximal zulässigen Durchbiegung von 3,2 mm entsprechen. Die im Dauerlauftest gemessene Verformung liegt weit unterhalb dieses Grenzwerts. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Kriechverformung kann mit der Extrapolation nach [6] die Grenznutzungsdauer berechnet werden.

Im Bild 6 wird ein unbelastetes Kurvensegment einer im Funktionsprototypen genutzten WPC-Kurve gegenübergestellt. Im direkten Vergleich lassen sich deutliche Verschleißspuren mit zum Teil braunschwarzer Verfärbung erkennen. Dabei handelt es sich um den Abriebstaub der metall- und faserverstärkten Kunststoffkomponenten des Förderzugs. Während des Dauerlauftests konnte beobachtet werden, dass dieser sich infolge der elektrostatischen Anziehung auf den WPC-Profilen niederschlägt und so zum abrasiven Verschleiß beiträgt. Die Kurveninnenseite wurde mithilfe eines Konfokalmikroskops genauer inspiziert. Aus den gewonnenen Daten ergab sich das im Bild 7 dargestellte 3D-Abbild der zugehörigen Oberfläche. Dieses lässt sich in zwei charakteristische Bereiche einteilen. Einerseits zeigt sich eine Wellenstruktur, die auf die Fräsfertigung der Kurve und die dabei entstandenen Spuren zurückzuführen ist. Andererseits ist ein ebener Bereich ersichtlich – dort wurde das Profil durch die Laufrollen beansprucht, was zur Einebnung der Fräsrillen geführt hat.

Für eine Detailbegründung sind weitere Analysen erforderlich. Es wurde festgestellt, dass im betrachteten System keine Funktionseinschränkungen auftraten, sodass der Oberflächenabtrag in diesem Fall als nicht kritisch zu bewerten war.

Zusammenfassung und Ausblick

Während des Dauerlauftests wurden keine Funktionseinschränkungen registriert. Weder die Langzeitverformung oder der Verschleiß der Funktionselemente noch der Vorspannkraftverlust haben eine Störung des prototypischen Hängefördersystems bewirkt. Im unteren Lastbereich (bis 50 kg/lfm) ist das entwickelte Trag- und Gleitelement aus WPC dem konventionellen Aluminiumstrangprofil technisch überlegen. Die nachhaltige Alternative bietet besondere Vorzüge, wie geräuschärmeren Lauf, reduzierte Selbstkosten oder die Möglichkeit, durch das Hohlprofil Kabel zur Realisierung von Überwachungsfunktionen zu führen.

Die erhobenen Langzeitdaten bilden die Grundlage für eine Extrapolation auf einen definierten Nutzungszeitraum. Unter Berücksichtigung der maximal zulässigen Durchbiegung und Schraubenvorspannung lassen sich die zulässige Betriebsdauer und Last eingrenzen. Für zukünftige Anwendungen ist es zweckmäßig, weitere Lösungen zur elektrostatischen Ableitung am Hängefördersystem zu integrieren. Diese Lösungen basieren auf dem Stand der Technik. Somit lassen sich Abrieb und Verschleiß der WPC-Profile auf ein Minimum reduzieren.

Literatur

Literaturhinweise

  • Novo-Tech GmbH & Co. KG, 2013. Patent zum Trag- und Gleitelement. DE102012209287A1, 5.12.2012.

  • Eichhorn, S., u. a.: Entwicklung eines kompletten Trag- und Gleitprofils aus WPC für ein Hängefördersystem. Technomer 2013, TU Chemnitz.

  • Nendel, K., u. a.: Modulares Hängefördersystem mit Funktionselementen aus Holz-Kunststoff-Verbund (WPC). TU Chemnitz, Abschlussbericht 2011 (AiF ZIM KF2036438AM9).

  • Schubert, C.: Untersuchungen an Einschraubverbindungen für hochgefüllte, extrudierte Holz-Polymer-Werkstoffe zum Einsatz in der Fördertechnik. TU Chemnitz, Dissertation 2020.

  • Golder, M.: Ein Beitrag zur Kostenabschätzung für Brückenkranträger in Kastenbauweise auf Basis ihrer Bemessungsgrundlagen und Dimensionierungsnachweise. KIT Karlsruhe, Dissertation 2004.

  • DIN EN 1156 (2013) Holzwerkstoffe – Bestimmung von Zeitstandfestigkeit und Kriechzahl.

Max Geistert, M. Sc.,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Förder- und Materialflusstechnik (FTM) 
an der TU Chemnitz

Max Geistert

Eric Penno, M. Sc.,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Förder- und Materialflusstechnik (FTM) 
an der TU Chemnitz

Eric Penno

Dr.-Ing. Christine Schubert,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Förder- und Materialflusstechnik (FTM) 
an der TU Chemnitz

Dr. Christine Schubert
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· Artikel im Heft ·

Nachhaltiges Hängefördersystem
Seite 56 bis 58
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