Weniger kann mehr sein

Optimierung eines Intralogistik-Shuttles führt zu mehr Leistung und Dynamik

Das Unternehmen TGW wollte sein Shuttle vom Typ „Stingray“ noch effizienter machen. Ziel war es, die Leistung, Geschwindigkeit und Dynamik zu steigern und unerwünschte Schwingungen zu vermeiden. Im Zuge dieser Optimierung war es wichtig, die komplette Anwendung, also das Shuttle in Aktion und als Teil des gesamten Systems, zu betrachten.

1105

Die TGW Logistics Group ist ein international führender Anbieter von Intralogistiklösungen für die Branchen Fashion und Textil, Lebensmittel, E-Commerce und allgemeiner Handel. Seit 50 Jahren realisiert der österreichische Spezialist hochautomatisierte Anlagen für seine internationalen Kunden: von A wie Adidas bis Z wie Zalando. Als Systemintegrator übernimmt TGW dabei Planung, Produktion und Realisierung von komplexen Logistikzentren – von Mechatronik, über Robotik, bis hin zu Steuerung und Software. Um in diesem hart umkämpften Markt erfolgreich sein zu können, ist es für das Unternehmen entscheidend, Trends in der Branche zu setzen. Hier kommt Faigle Kunststoffe ins Spiel: Das österreichische Familienunternehmen entwickelt und produziert Bauteile und Baugruppen aus technischen Kunststoffen, vor allem Rollen und dynamisch beanspruchte Komponenten für die Intralogistik. TGW holte den Kunststoffspezialisten als Entwicklungspartner ins Boot, um das „Stingray“-Shuttle noch effizienter zu machen.

Bekannte Herausforderung in der Intralogistik

Konkret ging es darum, die Leistung, Geschwindigkeit und Dynamik – also insgesamt die Effizienz – des Shuttles beim Ein- und Auslagern der Ware weiter zu verbessern. TGW setzte Laufräder mit Metall-Tragkörper und aufgegossener Polyurethanbandage (Guss-PU-Räder) ein. Durch den metallischen Tragkörper sind solche Laufräder sehr steif und können daher Vibrationen nur schlecht dämpfen. Die unerwünschten Schwingungen können dazu führen, dass die gelagerten Pakete von ihrem Platz aus zu „wandern“ beginnen, in Schieflage geraten und so nicht mehr von den Greifarmen des Shuttles erfasst werden können. In solchen Fällen muss unter Umständen die entsprechende Shuttle-Ebene gestoppt und die Ware händisch geborgen werden – solche Stopps sind teuer und daher ein „Albtraum“ für jedes Hochleistungslogistikzentrum.

Das Unternehmen Faigle erarbeitete gemeinsam mit TGW auf Basis der verschiedenen Bauteile-Anforderungen ein Konzept, das das Optimierungspotenzial aufzeigt. Im Zuge solcher Entwicklungsprozesse wird stets die komplette Anwendung, also das Shuttle in Aktion und als Teil des Gesamtsystems, betrachtet. Hinterfragt wird beispielsweise, welchen Belastungen die einzelnen Komponenten ausgesetzt sind, in welcher Umgebungstemperatur sie zum Einsatz kommen, deren Einsatzdauer etc. Eine maximale Anlagenverfügbarkeit steht dabei immer im Fokus der Überlegungen.

Aufgrund der Analyseergebnisse im Vorfeld sahen die Kunststoffexperten zwei Hauptansatzpunkte, um die Effizienz des Shuttles von TGW weiter zu steigern: Zum einen entwickelte Faigle spezielle Shuttle-Laufräder, zum anderen neue Shuttle-Klappen – beide aus Kunststoff.

Shuttle-Klappe aus Kunststoff zur Gewichtsreduktion

Der Ersatz der herkömmlichen Metall-Shuttle-Klappen, aufwändig zu fertigende Stahlfrästeile, war eine Maßnahme zur Gewichtsreduktion. Sie wurden durch eine eigens von Faigle entwickelte Shuttle-Klappe, ein Spritzgussteil aus Hochleistungskunststoff, ersetzt. „Dieses Bauteil ist ein Beispiel für das Kunststoff-Know-how von Faigle, denn für eine derart komplexe Auslegung und Fertigung braucht es viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung“, erklärt Johannes Schauer, Chief Developer Mechatronical Products bei TGW. Die Kunststoffexperten von Faigle setzten modernste Simulations-Tools ein, um die komplexe Bauteilgeometrie inklusive der anisotropen Faserorientierung zu berechnen. Die neue Shuttle-Klappe senkt das Klappengewicht um 80 Prozent (150 Gramm pro Klappe) und ist zudem elektrisch leitfähig. Obwohl sie materialbedingt äußerst leicht ist, ist sie dennoch hochbelastbar und maximal dauerfest. Der Spritzguss führt zu einer produktionsseitigen Kostensenkung und zu kürzeren Lieferzeiten. Während der einzelnen Phasen der Shuttle-Neuentwicklung stellte Faigle für TGW verschiedene Muster für die einzusetzenden Laufräder und Klappen zur Prüfung und Begutachtung vor. Es folgten intensive Tests bei beiden Unternehmen. TGW setzte zum Beispiel die neue Kunststoffklappe testweise fünf Millionen Lastzyklen aus, bevor sie regulär bei Kunden zum Einsatz kam.

Einen weiteren beachtlichen Effekt gab es mit neuentwickelten Shuttle-Laufrädern. Die ursprünglichen Laufräder aus Guss-Polyurethan wurden durch deutlich leichtere Kunststoffräder ersetzt. Faigle stellt diese Shuttle-Laufräder ebenso per Spritzguss her. Neben weniger Gewicht ist die Verlässlichkeit dieser ShuttleRäder ein wichtiger Vorteil: Da die Herstellung der Räder nur mehr Sekunden dauert, kann Faigle die Rollen auch kostengünstig herstellen. TGW profitiert von mehr Kosteneffizienz bei der Anschaffung und einer höheren Verfügbarkeit bei Bedarfsspitzen.

Hochbelastbar und vibrationsdämpfend

Die Herausforderung bei der Neuentwicklung der Laufräder war, starke Vibrationen, die sich über den Fahrweg auf das gesamte Hochregal übertragen, im System zu vermeiden. Die neuen Laufräder haben sogar zu einer Senkung der Vibrationen in der Anlage beigetragen: Die Kunststofflaufräder dämpfen diese viel besser als Metall, weil sie weniger steif sind. Um den Rundlauf der Räder weiter zu optimieren, bearbeitet Faigle die Rollenoberfläche zusätzlich nach.

Einen ebenso bedeutenden Beitrag zur Effizienz leisten die für die Laufflächen eingesetzten Hochleistungskunststoffe. Die Shuttle-Bandagen sind aus dem speziell entwickelten Material PAS-PU, sie weisen ein ausgezeichnetes Rückstellvermögen auf – das heißt, dass die Rollen selbst nach längeren Stillständen kaum abplatten und der Anfahrwiderstand gering bleibt. Ein wichtiges Argument, das sich positiv auf den Energieverbrauch auswirkt. Die Bandagen sind hydrolysebeständig sowie abrieb- und weiterreißfest. Verschiedene Tests und über 20 Jahre Praxiseinsatz haben gezeigt, dass ihr Einsatz, beispielsweise in feuchten Umgebungen, die Lebensdauer der Laufflächen gegenüber herkömmlichen Materialien mehr als verdoppeln kann.

Dank der geringeren Vibrationen verrutschen die Pakete nicht mehr, selbst sensibelste Waren können die Shuttles souverän transportieren. Die neuen Laufräder machen das gesamte System auch leiser. Über die Lärmreduktion freuen sich nicht zuletzt die Arbeitnehmer in den Logistikzentren. „Das Ergebnis unseres gemeinsamen Prozesses ist eine stark verbesserte Effizienz, eine höhere Ausfallssicherheit und eine längere Lebensdauer der Shuttles. Davon profitieren in erster Linie unsere Kunden“, unterstreicht Johannes Schauer. Die Entwicklungspartnerschaft der beiden Unternehmen besteht bereits seit über 30 Jahren.

Innovationsworkshops zur Entwicklungsoptimierung

„Viele Maschinenbauer wenden sich an uns, weil sie das Gewicht ihrer Geräte senken oder die Energieeffizienz steigern möchten. Mit unserer Kunststoffexpertise können wir viel zur Optimierung beitragen. Unsere Erfahrung ermöglicht es den Herstellern, viele Metallkomponenten durch leichte, effiziente und preislich attraktive Spritzgussteile zu ersetzen“, fasst Michael Schrom, Leiter Research & Development von Faigle Kunststoffe, zusammen.

Der Kunststoffspezialist bietet eigene Innovationsworkshops an, bei denen die Fachleute mit den Technikern der Kunden entsprechende Lösungen erarbeiten – und zwar von Grund auf bis zum serienreifen Produkt. Die Teilnehmer erhalten einschlägiges Wissen über verschiedene Materialien, Verarbeitungsmöglichkeiten und Kunststoffeigenschaften sowie über Lösungsansätze anderer Branchen. (ck)

Christina Kasper

Christina Kasper
Redakteurin, Zeitschrift "Technische Logistik - Hebezeuge Fördermittel", HUSS-MEDIEN GmbH
AnhangGröße
Weniger kann mehr sein 1.64 MB

· Artikel im Heft ·

Weniger kann mehr sein
08.09.2021
Lieferzeit und Kosten als Erfolgsfaktoren in der Intralogistik
Kunststoffbauteile sind in der Intralogistik stark im Vormarsch: Die hochbelastbaren, im Vergleich zu Metall günstig herstellbaren Teile kommen zum Beispiel in modernsten Sortieranlagen oder Shuttles...
19.08.2022
Über 20 Jahre alte Regalbediengeräte von MIAS auf den neuesten Stand gebracht
Regalbediengeräte zu modernisieren, birgt nicht selten Überraschungen abseits der Routine. Wenn dann noch ein extremes Hochwasser sämtliche Konstruktionspläne und Bedienanleitungen vernichtet hat...
07.03.2023
Langzeitprüfung der Funktionskomponenten aus nachwachsenden Rohstoffen
Der Einsatz nachwachsender Rohstoffe in einem Hängefördersystem stand im Mittelpunkt eines Forschungsprojekts der TU Chemnitz mit einem Industriepartner.1) Erfolgreich abgeschlossen wurde die...
05.12.2023
Modernisiertes Langgutlager ist fit für die nächsten 30 Jahre
Eine hohe Verfügbarkeit ist für einen zuverlässigen Betrieb unverzichtbar. Deswegen setzten die Metall-Experten Günther + Schramm bei der Modernisierung ihres Hochregallagers auf eine Lösung des...
20.10.2022
Zukunftsfähiges automatisiertes Lagerliftsystem für KLT
Die EMZ-Hanauer GmbH & Co. KGaA ist ein international agierendes deutsches Unternehmen mit Sitz in Nabburg in der Oberpfalz. Mit weltweit über 1.200 Mitarbeitern entwickelt und produziert EMZ Bauteile...
13.06.2023
Autonome mobile Roboter für einen optimierten Palettentransport
Fronius, weltweiter Technologieführer für Batterieladetechnik, Schweißsysteme und Solarenergie, setzt einen Meilenstein im automatisierten Palettentransport. In einem partnerschaftlichen...