Intralogistik aus einem Guss

Aus der Katastrophe zu mehr Flexibilität und Effizienz

2014 sah sich die Reisser AG mit Hauptsitz in Böblingen, renommierter Fachhändler für Badausstattung, Installations- und Heiztechnik mit fast 150-jähriger Firmengeschichte und 1.800 Mitarbeitern an 52 Standorten, mit einer Katastrophe konfrontiert. Bei einem Großbrand wurde auf einer Fläche von etwa 10.000 Quadratmetern der Sortimentsbereich und die Intralogistik des Böblinger Zentrallagers völlig zerstört. Gemeinsam mit dem beauftragten Generalunternehmen Gebhardt Intralogistics Group realisierte Reisser den Neubau eines hochmodernen Logistikzentrums.

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Die Reisser AG ist als Fachhandelsunternehmen ein wichtiges Bindeglied zwischen Industrie und Handwerk. Diese Position festigt das Unternehmen sowohl durch ein breites Produktportfolio an Badeinrichtungen, Installationstechnik, Wasseraufbereitung und attraktiver Hausmarken als auch durch eine hauseigene Logistik, die es ermöglicht, den Handwerks- und Installationskunden eine hohe Lieferverfügbarkeit zu bieten. Beim Wiederaufbau des Zentrallagers kam der Logistik als dem vom Unternehmen definierten Unique Selling Point (USP) eine große Schlüsselrolle zu. Ist doch die Lieferfähigkeit der Niederlassungen mit 17 weiteren Lagerhallen stark getrieben durch die Performance in Böblingen.

Entscheidung für Nachhaltigkeit und Flexibilität

Ziel war es, eine nachhaltige Intralogistiklösung zu realisieren, welche das Unternehmen optimal bei weiterem Wachstum, vor allem als Partner zwischen Industrie und Handwerk unterstützt. „Ausschlaggebend bei der Entscheidung für die Gebhardt Intralogistics Group aus Sinsheim war für uns neben hervorragenden Referenzen die Tatsache, dass das Unternehmen die Planung und Realisierung der gesamten Intralogistik-Technik als Generalunternehmen übernommen hat. Gleichzeitig ist es ein Familienunternehmen aus unserem „Homeland“ und passt damit sehr gut zu uns“, erklärt Guntram Wildermuth-Reißer die Entscheidung.

In zwei Bauabschnitten und über einen Zeitraum von 2,5 Jahren von der Planung bis zur ersten Inbetriebnahme wurde ein mehrgeschossiges Gebäude mit verschiedenen Lagerbereichen auf einer Fläche von insgesamt 38.000 Quadratmetern realisiert. Dabei ist die gesamte Logistikprozesskette und Lagerhaltung in Böblingen aufgeteilt in das automatische Kleinteilelager (AKL), dem automatischen Waben-Kassettenlager und weiteren Lagerbereichen wie einem Kragarm- und Palettenhochregallager incl. der verbindenden Fördertechnik und den entsprechenden Arbeitsplätzen.

Gebhardt als Generalunternehmer realisierte gemeinsam mit seinen Partnern eine moderne, skalierbare Anlage, die sich über die verschiedenen Lagerbereiche hinweg als eine ganzheitliche Lösung präsentiert und dem weiteren Wachstum von Reisser gerecht wird. Dank der integrierten digitalen Vernetzung hat sich die Prozessgüte der hochmodernen und kundenorientierten Logistik und die Lieferqualität enorm verbessert.

„Mit dem realisierten Lager haben wir sicherlich eines der modernsten, flexibelsten und nachhaltigsten Lager, das der deutsche Bad-Großhandel derzeit zu bieten hat. Ich würde mal sagen, wir spielen hier in der Champions League“, fasst Guntram Wildermuth-Reißer das Ergebnis zusammen.

One-Level-Shuttlelager als Zentrum der Lösung

Zentrum der Intralogistik-Lösung ist das Automatische Kleinteilelager, ein Gebhardt StoreBiter One Level Shuttlelager (OLS), in dem von der Armatur über den Dichtring bis zum Eckventil zwei Drittel der Gesamtartikel lagern. Realisiert wurde ein fünfgassiges Shuttlelager mit jeweils fünf StoreBiter OLS und 38 Ebenen pro Gasse. Abhängig von der Pickleistung kann die Anzahl der Shuttles pro Gasse noch ausgebaut werden. Fördertechnik, Liftanlagen und Heber stellen sicher, dass die Shuttles in jeder Ebene arbeiten können. Insgesamt bietet das AKL etwa 115.000 Lagerplätze mit zwei- und vierfachtiefer Lagerung. Aktuell ist das Lager mit 105.000 Behältern in zwei verschiedenen Größen bestückt.

Multifunktionale Arbeitsplätze für mehr Effizienz

Zur Kommissionierung am Shuttlelager setzt Reisser auf 16 multifunktionale Arbeitsplätze, die nach dem „Ware-zur-Person“-Prinzip arbeiten. „Das hat den großen Vorteil, dass wir bedarfsorientiert von der Ein- auf die Auslagerung umstellen können und somit sehr flexibel auf die Kundenbedürfnisse reagieren können“, erläutert Thomas Buck, in der Geschäftsleitung verantwortlich für Logistik, Fuhrpark und IT, die Umsetzung. Einen Peak in der Kommissionierung, also einen Auftragsanstieg aufgrund von gefahrenen Werbeaktionen oder Angeboten, kann das Unternehmen sehr gut aufnehmen und entgegensteuern, indem der Wareneingang auf einen Auslagerungsprozess umgestellt und der Wareneingang zeitversetzt gefahren wird, d.h. zu einem Zeitpunkt, wenn eine geringere Pickleistung erforderlich ist.

Ob Warenein- oder -ausgang, die Mitarbeiter an den 16 Arbeitsplätzen haben digitale Zugriffsmöglichkeiten und kommunizieren mit der Anlage per Touchscreen. Wird ein Ein- oder auch Auslagerungsprozess angestoßen, erfolgt der Transport der Behälter aus dem Lager oder in das Lager via Shuttles, die durch Shuttleheber aus den Lagerebenen zu den Übergabeplätzen und umgekehrt gefördert werden. Der An- bzw. Abtransport der Behälter zu bzw. von den 16 Arbeitsplätzen erfolgt über die Fördertechnik. Die Leerbehälterversorgung des Wareneingangs erfolgt über entsprechende Fördertechnik als Pufferstrecken. Das AKL dient hierbei als Überlaufpuffer.

Der Ein- und Rücklagerungsprozess wird durch automatische Konturen- und Gewichtskontrollen unterstützt. Nach einem festgestellten Konturen- oder Gewichtsfehler, das heißt, die Maximalabmessung oder das Höchstgewicht von 50 kg werden überschritten, wird der Behälter automatisch zum NIO-Arbeitsplatz (Nicht-in-Ordnung-Arbeitsplatz) zur weiteren manuellen Bearbeitung gefördert. Die Artikel werden ausgepackt, in der richtigen Höhe wieder eingepackt und der Behälter anschließend über die Fördertechnik zurück in die Einlagerungskurve und über die erneute Konturenkontrolle auf den Einlagerungsplatz gefahren.

„Die Vorteile des realisierten OLS-Lagers sind eindeutig in den automatisierten Prozessabläufen zu sehen“, fasst Thomas Buck zusammen. Ob Einlagerung oder Kommissionierung, die weitestgehend automatisierten Arbeitsabläufe sorgen für eine sichere Auftragsabwicklung und kurze Reaktionszeiten. Derzeit erreicht das Unternehmen eine Leistung von 6.000 Picks pro Tag und befindet sich dabei noch nicht in der Vollauslastung des Systems. Durch weitere Maßnahmen, wie etwa die Einbindung zusätzlicher Shuttles oder eines mehrschichtigen Arbeitsbetriebs, können weitere Optimierungspotenziale und vor allem eine erneute Steigerung der Pickleistung erzielt werden.

Die IT-Infrastruktur ist im Böblinger Zentrallager auf Basis von SAP EWM realisiert und bedient die verschiedenen Subsysteme von Gebhardt. „Gerade zu Beginn bedeutet so ein Zusammenspiel immer einen großen Schnittstellenaufwand. Funktioniert das System, so kann man sich ruhigen Gewissens darauf verlassen“, zieht Thomas Buck ein positives Fazit. Die perfekt aufeinander abgestimmten Systeme und die einwandfreie Schnittstellenrealisierung zwischen SAP EWM und Gebhardt-Steuerungen ermöglichen Reisser einen hocheffizienten Betrieb der Anlage.

Logistik komplett dank hochflexibler Lagerlösungen

Neben dem Shuttlelager verfügt Reisser über ein modernes automatisches Waben-Kassettenlager mit einer Lagerkapazität von 1.354 Kassetten. In diesem werden Rohre sämtlicher Abmessungen bis sechs Metern Länge gelagert. Das Waben-Kassettenlager ist 60 Meter lang, 14 Meter hoch und die beiden Regalzeilen haben eine Tiefe von sieben Metern. Die Ein- und Auslagerung übernimmt ein automatisches Regalbediengerät (RBG). Gearbeitet wird, wie schon im AKL, nach dem „Ware-zur-Person“-Prinzip an drei multifunktionalen Kommissionier- und Einlagerplätzen. In Kassetten werden die Langgutmaterialien an die Arbeitsplätze gefahren bzw. bestückt von dort ins Lager transportiert und über das RBG eingelagert. Für eine relativ einfache Kommissionierung der teils sperrigen Güter ist direkt an jedem Arbeitsplatz eine Krananlage installiert, die die Arbeitsprozesse optimal unterstützt. Mit einem Palettenhochregal- und einem Kragarmlager komplettiert Reisser die Intralogistik am Standort Böblingen. Mit neun Ebenen stehen bis zu 14 Meter Nutzhöhe im Kragarmlager für die Aufbewahrung von Langgut und sperrigen Lagergütern zur Verfügung. Aufgeteilt in Ober- und Untergeschoss verfügt das Palettenhochregallager in 21 Gassen über 26.000 Palettenstellplätze. Die durch die Bauweise der Halle vorhandenen Geschossebenen werden über eine voll automatisierte Palettenfördertechnik miteinander verbunden.

Viele Möglichkeiten für weiteres Wachstum

Mit dem Neubau und der von Gebhardt realisierten Intralogistiklösung ist Reisser für die kommenden Dekaden gerüstet und sieht sich optimal aufgestellt, um die stetig steigenden Kundenanfragen schnell, fehlerfrei und effizient zu bedienen. „Mit dem neuen System erreichen wir eine ganz andere Effizienz und Prozessgüte.“, erläutert Guntram Wildermuth-Reißer. Und Thomas Buck fügt hinzu: „Wir haben eine Flexibilität erreicht, die uns sehr viele Möglichkeiten bietet für Wachstum und uns eine Lieferverfügbarkeit realisieren lässt, die es dem Kunden erlaubt, die Ware sofort zu erhalten, notfalls über Nacht.“ (ck)

Eine Information der Gebhardt Intralogistics Group

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