Intralogistik 4.0
Obwohl der E-Commerce sich schon lange großer Beliebtheit erfreut, gab es in den letzten Jahren Entwicklungen, die diesen Trend nochmals befeuert haben. Besonders prägend waren dabei die anhaltende Corona-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen, wie das Institut der deutschen Wirtschaft in seinem Kurzbericht Ende 2021 darlegt. So hat etwa die zeitweise Schließung des stationären Handels das Online-Shopping weiter vorangetrieben und vollends massentauglich gemacht. Die Pandemie hat das Sozial- und Einkaufsverhalten maßgeblich verändert – und damit auch den persönlichen Geduldsfaden stark verkürzt. Das heißt: Eine online bestellte Ware soll so schnell wie möglich eintreffen.
Eine Erfolgsgeschichte mit Haken – für die Intralogistik
Die wachsende Online-Shopping-Lust macht sich auch in der Intralogistik bemerkbar. Viele Logistikunternehmen sind technisch zwar für Quick-Commerce-Anforderungen gerüstet und dank moderner Software up-to-date, allerdings fehlt ihnen oft eine Ressource, die keine Software der Welt kompensieren kann: die menschliche Arbeitskraft. Der anhaltende Arbeitskräftemangel, der sich mit Blick auf den demografischen Wandel in den nächsten Jahren verschärfen wird, macht auch vor der Intralogistik nicht Halt. So beziffert das EHI-Retail Institute den Personalmangel bei Lagerarbeitern in Deutschland auf 38 Prozent. Heben, Greifen, Steigen, Palettieren, Etikettieren, Kommissionieren: Tagaus, tagein müssen so Hunderte von Picks abgearbeitet werden. Diese ergonomisch ungünstigen, monotonen und repetitiven Aufgaben führen über kurz oder lang zu Muskel-Skelett-Erkrankungen. Insofern verliert dieser Beruf wie so viele in der verarbeitenden Industrie zunehmend an Attraktivität. Schließlich verlangt die hohe Nachfrage von Händlern überdies eine räumliche Erweiterung. Wo zunehmend variantenreich sowie in großen Stückzahlen bestellt wird, müssen geeignete Logistikzentren entstehen, in denen sich die Waren lagern lassen. Allerdings fehlt gerade in Ballungsräumen der Platz für die Errichtung neuer Zentren. Statt weiter in die Breite zu bauen, sind daher vielmehr vertikale Raumkonzepte für maximale Lagerkapazitäten gefragt.
Automatisierung als Lösung für mehr Resilienz
Viele Logistikunternehmen fragen sich daher, was sie im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel, physisch belastende Tätigkeiten und Platzmangel tun können. Schon seit längerer Zeit steht fest, dass Automatisierung der Schlüssel zum Erfolg ist, ohne dabei den Menschen zu ersetzen. Die meisten herkömmlichen Ansätze zielen dabei jedoch auf eine partielle Automatisierung ab. Diese sind für sich genommen hilfreich, können aber nicht alle skizzierten Herausforderungen auf einmal bewältigen. Ein Beispiel: Im Multi-User-Warehouse von Rhenus in Gießen legt ein kollaborierender Roboter (Cobot) von Universal Robots Pakete zur Etikettierung auf ein Förderband. Auf diese Weise erhöht der Cobot den Durchsatz enorm und trägt dazu bei, Mitarbeitende zu entlasten.
Wie aber ließe sich der Automatisierungsansatz in der Intralogistik noch größer denken? Gemeinsam mit sieben weiteren Unternehmen aus der Robotik- und Logistikbranche schuf Universal Robots schließlich eine gesamtheitliche Lösung für die personelle und räumliche Knappheit. Diese Lösung heißt SINA.
Die Smarte Kommissionierlösung für die INtralogistik Automatisierung (kurz: SINA) automatisiert das Materialhandling vom Wareneingang bis zum fertig angelieferten Bausatz an den einzelnen Produktionslinien oder Arbeitszellen just-in-time. Dem Systemintegrator Ecosphere Intralogistics GmbH ist es gelungen, die einzelnen Komponenten in einer gesamtheitlichen Lösung zu verbinden. Damit ist es das erste vollautomatisierte System seiner Art für eine effiziente Intralogistik.
Über den vertikalen Lagerturm „Effimat“ werden die unterschiedlichen Kunststoffkisten mit den gewünschten Materialien nach dem Ware-zum-Mitarbeitenden-Prinzip ausgeliefert. Je Arbeitszyklus kann das Kommissioniersystem dabei bis zu fünf Kleinladungsträger mit verschiedenen Produktnummern oder Artikeln ausgeben. Vor dem „Effimat“ sind zwei Roboterarme von Universal Robots positioniert, die die gewünschten Teile aus den einzelnen Boxen entnehmen und die benötigten Materialstückzahlen und -kombinationen für die weitere Verarbeitung vorbereiten. Zum Einsatz kommen hier zwei UR10e-Modelle, die eine Traglast von bis zu 12,5 Kilogramm stemmen können und über eine Reichweite von bis zu 1,3 Metern verfügen.
Ausgestattet mit einem Sauggreifer von Piab und einem KI-basierten Visionsystem von Robominds erzielen die Cobots branchenführende Pick- und Trefferquoten. Dank Künstlicher Intelligenz erkennen die Cobots einzelne Objekte ohne vorheriges Einlernen und können Materialien mit unterschiedlichen Oberflächenbeschaffenheiten problemlos über den Sauggreifer aufnehmen. Diese Flexibilität macht sich besonders bei einer hohen Produktvielfalt wie im E-Commerce bezahlt.
Die installierten Sicherheitslaserscanner von Sick gewährleisten außerdem maximale Arbeitssicherheit. Nähert sich ein Mitarbeitender der Anlage, reduzieren die Cobots ihre Arbeitsgeschwindigkeit oder stoppen in ihrer Bewegung. Diese Sicherheitszonen können unkompliziert über die Bedienoberfläche der Cobots konfiguriert werden. Ist der Kommissionierbehälter fertig bestückt, wird die Kiste von einem autonomen mobilen Roboter von Mobile Industrial Robots mit entsprechendem Topmodul der Firma ROEQ automatisch zu der jeweiligen Produktionslinie oder Arbeitszelle transportiert.
Maximale Effizienz und Produktivität rund um die Uhr
Das Kommissioniersystem ist innerhalb von vier bis fünf Wochen implementiert und kann anschließend bis zu 250 fertige bestückte Behälter pro Stunde ausgeben. Alle Komponenten sind exakt aufeinander abgestimmt. Dadurch ist eine vollautomatische Materialbereitstellung möglich, die die Fehlerrate auf nahezu Null reduziert. Gleichzeitig ermöglicht das System ein vollständiges Tacking und Tracing der Produkte. Die Warenzusammenstellung kann mittels SINA rund um die Uhr erfolgen, was nicht nur die Produktivität erhöht, sondern besonders im E-Commerce ein strategischer Vorteil für die schnelle Lieferung an demselben oder nächsten Tag sowie den On-Demand-Zugriff auf den aktuellen Lieferstatus ist.
Dank der vertikalen Ausrichtung des Lageraufzugs können nicht zuletzt bis zu 75 Prozent des Platzbedarfs eingespart werden. So erweitern Unternehmen ihre Lagerkapazitäten, ohne dass mehr Fläche für weite Pickzonen notwendig wäre. Das erweist sich besonders in Ballungsräumen oder auf begrenzten Firmengrundstücken, wo der Platz für den Bau neuer Lagerhallen fehlt, als vorteilhaft.
Die Automatisierung der Warenzusammenstellung hilft Unternehmen schließlich auch, dem anhaltenden Arbeitskräftemangel in der Logistik standzuhalten. Während SINA einerseits fehlendes Personal ersetzt, entlastet das System andererseits auch die Stammbelegschaft von ergonomisch ungünstigen, repetitiven Kommissionierprozessen und setzt Kapazitäten für höherwertige Tätigkeiten frei. Somit werden offene Logistikstellen auch für Bewerbende interessanter, da sie anspruchsvolle Aufgaben versprechen, die weniger körperlich anstrengend sind.
Andrea Alboni, General Manager Western Europe bei Universal Robots (Germany)


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