Vorzeigeprojekt im hohen Norden
Als Ende Mai 2019 die beiden Geschäftsführer Geir Inge Stokke (Coop) und Helmut Prieschenk (Witron) den Vertrag für die Erweiterung des Coop-Multi-Temperatur-Verteilzentrums in der Nähe von Oslo unterzeichneten, ahnten beide noch nicht, welch große Herausforderungen auf die beiden Projektpartner zukommen würden. Ab März 2020 stand die Welt aufgrund Covid still, und die Nachfrage bei den Konsumenten schnellte, getrieben durch diverse Lockdowns, signifikant nach oben. Ein ungünstiger Start für das in der Witron-Firmengeschichte bislang wahrscheinlich anspruchsvollste Brownfield-Projekt, in welchem bestehende Technologie modernisiert und neue Module integriert wurden – sowohl im Bestandsgebäude als auch in einem Erweiterungs-Neubau.
Die Aufgabe an Gaute Glomlien von Coop und Holger Weiß von Witron beschrieb sich wie folgt: die Trocken-, Frische- und Tiefkühl-Logistik unter Covid-19-Schutzmaßnahmen von 52.000 Quadratmeter auf 84.000 Quadratmeter zu erweitern, den Durchsatz um 30 Prozent zu steigern, neue COM-Maschinen zu integrieren, ebenso zusätzliche Paletten- und Tray-AKL-Gassen sowie diverse Fördertechnik-Komponenten einzubauen. Den vollautomatischen Warenausgangspuffer zu vergrößern. Das dazugehörige WMS-System auf den neuesten Stand zu bringen. Und alles während des laufenden Betriebes – natürlich ohne Leistungsverlust – in den bestehenden Materialfluss einzubinden.
„Wir konnten in der Vergangenheit mit den Witron-Systemen jährlich Millionen von Euros einsparen. Deshalb war klar, dass wir auch die Erweiterung mit Witron und deren führender Logistik-Technologie realisieren“, erklärte Coop-Projektleiter Glomlien. Die Expansion wurde auch deshalb nötig, weil der Retailer einen Wettbewerber übernahm und daher stärker und schneller wuchs als in der ursprünglichen Expansionsstrategie des Logistikzentrums angenommen.
„Coop ist für uns ein Vorzeigeprojekt. Viele internationale Kunden besuchen die Anlage, und mit der Erweiterung konnten wir eindrucksvoll beweisen, dass wir trotz steigender Volumina – sowohl im Durchsatz als auch in Bezug auf die Artikel – im Lager obgleich der Pandemie eine Expansion im Live-Betrieb budget- und termingerecht abwickeln können“, berichtet Holger Weiß stolz. Im Frühjahr 2023 arbeiten über alle Temperaturbereiche 42 COM-Maschinen (elf neue COM wurden installiert) und die Coop-Logistik kommissioniert gut 625.000 Pickeinheiten am Tag. In Summe sind gut 600.000 Paletten-, Behälter- und Tray-Stellplätze sowie 130 Regalbediengeräte und viele Kilometer Fördertechnik installiert.
Herausforderungen erfolgreich gemeistert
Coop versorgt aus der Anlage – mit fünf verschiedenen Temperaturzonen – 1.200 Filialen von der Metropolregion um Oslo bis hinauf in den hohen Norden von Norwegen aus einem Sortiment von 13.000 verschiedenen Artikeln. „Zu Beginn des Projekts war klar, dass wir unsere Kommissionier-Kapazität deutlich erhöhen müssen“, scherzt Glomlien heute. „Das Volumen des Logistikzentrums hat sich nahezu verdoppelt“, antwortet Weiß und lacht. Glomlien und er haben in manchen Situationen hart diskutiert. Heute sitzen sie vor den Teams-Mikrofonen und freuen sich, einander virtuell wiederzusehen. „Das war eine gute Zeit“, resümiert Weiß nach dem Gespräch und sein norwegischer Counterpart stimmt ihm zu.
Wenn er sich an diverse Tage, Wochen und Monate im Projekt erinnert, hält er inne und fährt dann umso stolzer fort. „Die Grenzen waren zu. Es gab komplexe Einreisebedingungen. Strenge Quarantäne war von den Behörden angeordnet. Über lange Zeit war für die Projekt-Beteiligten nur der Weg vom Hotel – was ansonsten nicht verlassen werden durfte – zum Logistikzentrum und zurück erlaubt. Auch die Kantinen auf der Baustelle waren zu. Selbst im Hotel wurde der Service auf ein Mindestmaß heruntergefahren. Das musst du als Team erstmal schaffen. Das sind echte Entbehrungen – für das Kundenteam, aber auch für unsere Kolleginnen und Kollegen. Da fragst du dich als Projektleiter jeden Abend, wie halte ich die Stimmung hoch“, unterstreicht Weiß. Das Witron-Team bewegte sich mit Sondergenehmigungen der Regierung. Die Coop-Logistik war systemrelevant. „In der Pandemie nahmen die Bestellungen nochmal zu“, erinnert sich Glomlien.
Technisch war für den Oberpfälzer Holger Weiß vor allem die Tiefkühllogistik eine Herausforderung. „Wir haben den automatisierten Bereich von –25 Grad Celsius auf –5 Grad Celsius quasi erwärmt, die Ware temporär in einen konventionellen Lagerbereich gebracht und dort manuell kommissioniert. Innerhalb von acht Wochen haben wir dann alle Anpassungen im Bereich Elektromontage, Bühnen, Paletten- und Trayfördertechnik gemacht, bis der bestehende-Freezer wieder hochgefahren wurde. Anschließend wurden die zwei neuen COM-Maschinen sowie zwei zusätzliche Palettenlager-Gassen, vier Traylager-Gassen, weitere Regalbediengeräte, ein Depalettierer sowie die dazugehörige Fördertechnik-Anbindung im neuen Tiefkühl-Gebäude installiert.“
„Die Installationsreihenfolge wurde in einem gemeinsamen Prozess sorgfältig geplant, wobei wir der Installation der neuen Regalbediengeräte Vorrang einräumten, die eine effiziente CPS-Kommissionierung im erweiterten Tiefkühlbereich ermöglichen sollten. Anschließend kühlten wir den neuen Produktionsbereich auf die erforderliche Temperatur ab, stellten unsere automatisierte Produktion auf die CPS-Kommissionierung von den neuen RBGs und manuellen Palettenregalen um und beheizten unseren bestehenden Produktionsbereich, um die Installation der zusätzlichen Witron-Technologie zu ermöglichen“, fügt Glomlien hinzu. „Die Phase erforderte eine sorgfältige Koordination und funktionsübergreifende Zusammenarbeit zwischen den IT- und Mechanik-Ressourcen von Witron und den Teams von Coop, welche die Produktion, den Transport und die Auftragsverwaltung kontrollierten, von der Inbetriebnahme bis zum Hochlauf und während der Produktionsphase. Nachdem Witron die neuen Anlagen in unserem bereits bestehenden Produktionsbereich fertiggestellt hatte, wurde der Prozess für die Fertigstellung des neuen Produktionsbereichs umgekehrt. Die Kommissionierung wurde dann wieder komplett auf die vollautomatischen OPM-Maschinen verlagert.“
„Bei Coop wird der Kommissionierbereich von den Verantwortlichen auch als der Produktionsbereich bezeichnet“, erklärt Holger Weiß. Heute arbeiten in Summe vier COM-Maschinen im Tiefkühlbereich der Anlage. Als der Bereich dann wieder auf –25 Grad C runtergekühlt wurde, habe auch Weiß die Daumen gedrückt. „Wenn Kabel brechen, Riemen reißen, Motoren aussetzen oder Sensoren ausfallen würden, wird es spannend werden. Denn unser Zeit-Puffer war nicht groß.“
Und gleichzeitig war es wichtig, die Qualität der eingelagerten Waren im Auge zu behalten, um größere Produktschäden zu vermeiden. „Du musst bei so einem Projekt auf die besten Komponenten zurückgreifen, die es auf dem Markt gibt“, erinnert sich Weiß. „Wir haben bestehende Antriebe nicht gewechselt, aber neue ins System gebracht. Es muss auf Anhieb laufen, weil sonst das Projekt nicht rechtzeitig fertig wird oder aber der Kunde sogar direkte Kosten hat, wenn Ware nicht ausgeliefert werden kann.“
Das Witron-On-Site-Team nutzte die Zeit des Umbaus für Instandhaltungen an der Anlage. „Wenn die Ware wieder eingelagert ist, dann musst du immer im ständigen Austausch mit dem Kontrollraum sein und schnell vor Ort reagieren“, erklärt Weiß. „Die Kommunikation zwischen Kundenteam, Projektteam und On-Site-Team muss reibungslos funktionieren. Und dass sie reibungslos funktioniert hat, dokumentiert zweifellos das Ergebnis“, hebt der Witron-Projektmanager hervor. „Die akribische Detail-Arbeit hat sich gelohnt. Nachdem wir den Tiefkühlbereich hochgefahren hatten, konnten wir schnell wieder auf Leistung gehen. Negative Überraschungen blieben aus.“
Effizientes Umstellungskonzept auch für das Trockensortiment
Für den OPM-Bereich des Trockensortiments entschied sich Coop nach gemeinsamen Planungen mit Witron für fünf zusätzliche COM-Maschinen (in Summe jetzt 17 – mit Platz für vier weitere COMs), vier zusätzliche Palettenlager-Gassen, zehn zusätzliche Traylager-Gassen, die dazugehörigen Regalbediengeräte und Fördertechnik-Mechanik, drei Depalettierer sowie einen Wickler. „Im Herbst 2021 und Winter 2022 war im Trockensortiment eine entscheidende Phase gekommen“, erzählt Glomlien.
„Das ist der Bereich mit dem höchsten Durchsatz im Distributionszentrum, mit zusätzlicher Komplexität durch zwei räumlich getrennte OPM-Systeme, die als eine integrierte Einheit arbeiten. Um nach der Inbetriebnahme des neuen Bereichs sofort alle Aufträge pünktlich und in optimaler Qualität liefern zu können, wurde der Anlaufprozess sorgfältig geplant, und unsere Lagerverteilung wurde genau überwacht, um sicherzustellen, dass die richtigen Produkte zur richtigen Zeit zur Kommissionierung bereitstehen“, beschreibt Gaute Glomlien die gut durchdachte Erweiterung.
Detaillierte Emulationen, die das IT-Team von Witron in Zusammenarbeit mit den Produktionsleitern von Coop im Vorfeld durchführte, waren ebenfalls entscheidend, um die richtige Produktionsstrategie vor der Inbetriebnahme der beiden voll integrierten Teilsysteme zu ermitteln. „Entscheidend ist dabei die exakte Abstimmung von Aufträgen und Beständen zwischen den einzelnen Teilsystemen“, ergänzt Holger Weiß. „Auch diese Umsetzungsstrategie hat sich hervorragend bewährt.“
Pick-Strategien optimieren
Im Frischebereich kamen vier weitere COM-Maschinen (in Summe jetzt 21 – mit Platz für fünf weitere COMs) inklusive acht zusätzlicher Traylager-Gassen, zwei weiteren Palettenlager-Gassen, die dazugehörigen Regalbediengeräte und Fördertechnik-Mechanik, zwei Depalettierer und ein Wickler dazu. „Wir haben im Frischebereich dann noch einen weiteren Materialfluss-Strang für Obst und Gemüse hinzugefügt, was uns bei den anderen Waren in diesem Bereich entlastet. In der Vergangenheit wurden die Warengruppen zusammen gepickt“, erklärt Glomlien. Nochmals vergrößert wurde ebenso der vollautomatische Warenausgangspuffer, welcher verschiedene Temperaturbereiche umfasst.
Holger Weiß ist schon wieder in Schweden – im nächsten Projekt. Das Tagesgeschäft läuft für Coop im C-Log weiter. „Mit der Erweiterung haben wir eine technisch hochmoderne Lösung erhalten, die während des laufenden Betriebes auf ein Durchsatzvolumen ausgebaut wurde, welches in der ursprünglichen Planung noch gar nicht vorhersehbar war. Jetzt optimieren wir die Prozesse weiter“, erklärt Glomlien. Ebenso wurden auch die Software-Systeme von Coop auf den neuesten Stand der Witron-Technik gebracht.
Doch auch nach Projektabschluss verändern sich die Prozesse im Logistikzentrum immer wieder, schon deshalb, weil die gesamte Supply Chain Schwankungen unterliegt und Kundenanforderungen sich verändern. Daher ist eine hohe Flexibilität in sämtlichen Prozessen gefragt. „Coop fährt einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, hat in den vergangenen Jahren viel Erfahrung mit der Anlage gesammelt. Das ist auch für uns sehr beeindruckend. Sie analysieren ihre Daten und Kalkulationen, wählen die richtigen Pick-Strategien für die Regionen und Filialen aus und legen die Strukturierung ihrer Aufträge fest“, berichtet Weiß begeistert. Sie unterstützen auch die Witron-Kollegen und Kolleginnen vor Ort und in Parkstein, wenn sich Logiken ändern.
Respekt gilt allen Projektbeteiligten
Auch für Witron-CEO Helmut Prieschenk ist das Projekt in Norwegen in vielerlei Hinsicht ein Vorzeigeprojekt. „Es zeigt die Wandelbarkeit von automatisierten Prozessen. Es zeigt, wie effizient zusätzliche Technologie während des laufenden Betriebes in ein bestehendes System beziehungsweise bestehendes Gebäude integriert werden kann. Doch entscheidend sind bei solchen Vorhaben nicht nur Technik und Gebäude, sondern die Menschen, die so ein Projekt erfolgreich über die Ziellinie bringen. Menschen, die gezeigt haben, wie auch anspruchsvolle Rahmenbedingungen effizient gemeistert werden können, wenn Projekt-Teams über alle Projektphasen hinweg konstruktiv und vertrauensvoll miteinander zusammenarbeiten. Mit der Erweiterung haben sämtliche Projektbeteiligten ein Meisterstück abgeliefert. Sowohl technologisch aber noch viel mehr im Hinblick auf das gezeigte Engagement. Waren die technischen Anforderungen für die Teams von Coop und Witron schon eine spannende Aufgabe, so wurde deren Umsetzung über viele Monate noch zusätzlich von der Corona-Pandemie erschwert. Um trotz gesundheitspolitischer Beeinträchtigungen den notwendig engen Terminplan einhalten zu können, zeigten die Kolleginnen und Kollegen ein Maximum an Herzblut – sind an den Herausforderungen gewachsen und haben Großartiges geleistet. Projekte werden von Menschen für Menschen gemacht. Und die beteiligten Menschen haben eine Leistung erbracht, welche den größtmöglichen Respekt verdient und den Spirit beider Unternehmen repräsentiert.“ (jak)
Eine Information von Witron
» Coop ist für uns ein Vorzeigeprojekt. Viele internationale Kunden besuchen die Anlage.
» Wir konnten in der Vergangenheit mit den Witron-Systemen jährlich Millionen von Euros einsparen. Deshalb war klar, dass wir auch die Erweiterung mit Witron und deren führender Logistik-Technologie realisieren.
Redaktion (allg.)
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