Cooler Türtransport
Wenige Dinge haben den Alltag so stark verändert wie der Kühlschrank und die Gefriertruhe. Sie ermöglichen Haushalten, Dinge für den täglichen Bedarf auf Vorrat einzukaufen und empfindliche Lebensmittel auch später so gut wie frisch zu genießen. Diese können daher nicht nur während kurzer saisonaler Erntezeiten auf dem Speiseplan stehen. Das dadurch veränderte Einkaufsverhalten mit längeren Intervallen und weniger Zeitbedarf hat die Vereinbarkeit von Beruf und Haushalt gestärkt.
Kompetenz in Kälte
Der größte Hausgerätehersteller in Europa ist die BSH Hausgeräte GmbH (BSH), ein Unternehmen der Bosch Gruppe mit rund 62.000 Mitarbeitenden. In weltweit 40 Fabriken produziert BSH das gesamte Spektrum moderner Hausgeräte. Seit 2020 entwickelt und fertigt die BSH an allen Standorten weltweit CO2-neutral.
Am Standort Giengen an der Brenz (D) werden seit über 70 Jahren hochwertige Kältegeräte entwickelt und produziert. Die rund 2.750 Mitarbeitenden im dortigen Kompetenzzentrum Kältegeräte der BSH entwickeln und produzieren jährlich rund 1,5 Millionen Kühl- und Gefriergeräte.
Die Fertigungslinien für Kühl- und Gefriergeräte am BSH-Standort Giengen erfüllen alle Anforderungen an eine moderne, CO2-neutrale Produktion. Voneinander getrennt entstehen zunächst einerseits die eigentlichen Kühlschränke, Gefrierschränke oder Kühl- und Gefrierkombinationen mit den Kühlaggregaten und andererseits die Türen. Diese werden in zwei Linien mit der Innenverkleidung aus Kunststoff sowie mit einem isolierenden Polyurethan-Kern und der Türdichtung versehen. Die Türen entstehen dabei – ebenso wie die Kühl- und Gefrierschränke selbst – in verschiedenen Größen für ein- oder zweitürige bzw. ein- oder zweiflügelige Modellvarianten.
Schrank braucht Tür
BSH setzt in Giengen konsequent auf die Fertigungsmethoden von Industrie 4.0. Schränke und Türen entstehen in auftragsbezogener Mischproduktion mit teilweise sehr geringen Losgrößen. Jede Produktionslinie umfasst je eine Türen- und Endmontagelinien, diese sind jedoch örtlich getrennt. Die in jeder Anlage pro Schicht erzeugten rund 600 Türen mussten daher zur „Hochzeit“ mit den Korpussen mehrere hundert Meter zu diesen gebracht werden.
Während die Prozesse davor und danach bereits einen hohen Automatisierungsgrad aufwiesen, erfolgte dieser Transport in der Vergangenheit in Transportgestellen, die per Seitsitz-Hochhubwagen befördert wurden. „Diese Transportart hatte gewisse Nachteile, vor allem band sie Personal, für das das an anderer Stelle Bedarf vorhanden war“, sagt Steffen Baur, Intralogistikplaner bei BSH. „Wir machten uns daher daran, diese Automatisierungslücke zu schließen.“
Zwei FTS in einem
Die örtlichen Verhältnisse, vor allem die sehr beengte Situation an den Aufnahme- und Abgabestationen, machten diese Aufgabe nicht leicht. BSH führte daher vor der Erstellung eines Lastenheftes, auch mit Unterstützung durch einen externen Berater, umfangreiche Voruntersuchungen und Analysen durch. Die Methodenwahl war bereits zugunsten eines Fahrerlosen Transportsystems (FTS) gefallen, als BSH die Ausschreibung an einige etablierte FTS-Hersteller versendete.
Sehr schnell trennte sich die Spreu vom Weizen. „Von den drei Anbietern, die es in die engere Wahl geschafft hatten, zeigte DS Automotion bereits im Vorfeld höchste Kompetenz und lieferte das seriöseste Angebot ab“, erinnert sich Steffen Baur. „Den Ausschlag für die Auftragserteilung gaben die Erkenntnisse über die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Systeme aus Österreich, die wir anlässlich eines Referenzbesuches in einem großen Molkereibetrieb gewinnen konnten.“
DS Automotion entwickelt und produziert seit beinahe 40 Jahren ausschließlich Fahrerlose Transportsysteme und konnte diese Erfahrung in das Projekt bei BSH einbringen. So entstand ein Gesamtsystem, das in einem gemeinsamen Rundkurs beide Linien anbindet und gewährleistet so die größtmögliche Wirtschaftlichkeit und Flexibilität beim Einsatz der Fahrerlosen Transportfahrzeuge (FTF).
Bedarfsgesteuerter Transport
In den Türmontagelinien werden Kühlschrank- und Gefrierschranktüren sortenrein in Ladungsträger geschlichtet zum Abtransport an die jeweils zugeordnete Endmontagelinie bereitgestellt. Dort werden diese in einem Fall von Personal, im anderen von einem Roboter zur Weiterverarbeitung entnommen und anschließend auf einen Leergutplatz verschoben.
Die Vollgutplätze sind mit Belegt-Sensoren versehen. Besteht an einer Endmontagelinie Bedarf und ist an der zugeordneten Türmontagelinie zugleich ein gefüllter Ladungsträger abholbereit, erstellt die Leitsteuerung „Navios“ automatisch einen Transportauftrag. Diesen weist es dem FTF zu, das sich in der günstigsten Position befindet, um ihn mit größtmöglicher Wegeffizienz abzuarbeiten.
Die Leergutplätze an den Endmontagelinien sind ebenfalls mit Sensoren überwacht. So bezieht der Flottenmanager „Navios“ auch die Rücktransporte automatisch in die Auftragsabwicklung mit ein. Da es sein kann, dass nicht alle Türen auf die gesamte Ladung eines Ladungsträgers verarbeitet wurde, sind die Leergutplätze zusätzlich mit einer Füllstandsüberwachung ausgestattet. Nicht gänzlich entleerte Ladungsträger werden von „Navios“ zu eigenen Ausschleuseplätzen an den Türmontagelinien geleitet.
Da die FTF bei BSH an vier Stellen Brandschutztore durchfahren, musste in „Navios“ auch eine Verknüpfung mit der Brandmeldezentrale erfolgen. Ebenfalls im System integriert sind mehrere Warnblinkleuchten und eine Ampel.
Durchgeführt werden diese Transporte von acht Unterfahr-FTF der Baureihe „Oscar“ von DS Automotion. Diese transportieren huckepack die Ladungsträger. Bei diesen handelt es sich um standardisierte Trolleys, die anlässlich der Automatisierung des Türtransportes angeschafft wurden. Darin werden die Türen je nach Höhe in ein oder zwei Ebenen stehend transportiert, angelehnt an Querstreben.
Peter Kemptner, unabhängiger Marketing-Dienstleister und Fachredakteur in Salzburg
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