Digitalisierung - aus Daten lernen
Die zunehmende Nutzung von Daten in der Ära der Industrie 4.0 und der Verschmelzung von physischen und virtuellen Prozessen erhöht die Relevanz einer soliden Datengrundlage für Unternehmen. Innerbetriebliche Logistiksysteme haben als Verknüpfung sämtlicher wertschöpfender Tätigkeiten eine entscheidende Bedeutung für die Leistungsfähigkeit eines produzierenden Unternehmens. Deshalb kommt ihrer kontinuierlichen Effizienzoptimierung eine Schlüsselrolle zur Sicherstellung von geschäftlichem Erfolg zu. Die Komplexität aufgrund sich ändernder Produktportfolios und Lieferkettenvolatilität fordert eine fortlaufende Überwachung und Analyse der Prozesse; traditionelle, rein manuelle Analysen sind hierfür unzureichend.
Datenorientierte Methoden bieten die Möglichkeit, automatisierte Analysekonzepte zu entwickeln. Dies ist besonders hilfreich bei komplexen Entscheidungsprozessen innerhalb der Planung und Steuerung von Logistiksystemen. Die intelligente Analyse von Prozessdaten aus verteilten Informationssystemen der Logistik, vor allem durch Data Mining oder Machine Learning, bietet die Möglichkeit, zukünftige Entwicklungen vorherzusagen oder aktuelle Schwachstellen und Engpässe zu identifizieren. Dadurch können Logistiksysteme gezielt verbessert werden. Die Herausforderung liegt jedoch in der systematischen Strukturierung notwendiger Schritte und in der zielgerichteten Interpretation der Analyseergebnisse für den praktischen Einsatz. Der Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik (fml) der Technischen Universität München hat hierfür gemeinsam mit dem Technologiezentrum Produktions- und Logistiksysteme (TZ PULS) der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut ein Vorgehensmodell zur Verarbeitung von Prozessdaten aus Informationssystemen sowie zur gezielten Anwendung von datengetriebenen Prozessanalysen entwickelt.
Nachfolgend wird der Einsatz von Machine Learning anhand von zwei Anwendungsbeispielen in einem Produktionsunternehmen mit hoher Variantenvielfalt und großer Fertigungstiefe erläutert. Darüber hinaus werden im Zusammenhang mit dem Vorgehensmodell weitere Schritte betrachtet, die von der Prüfung des Prozesses auf Eignung der Anwendung von datenorientierten Ansätzen bis zur Datenauswahl und -klassifikation sowie systematischen Datenvorverarbeitung reichen.
Zwei Anwendungsbeispiele
Anwendungsbeispiel 1: Vorhersage von qualitätsbezogenen Störungen mit prädiktiver Analytik
Das Auftreten von Störungen im Betriebsablauf sorgt in Industriebetrieben für Herausforderungen im Qualitätsmanagement. Um Produktionsausfälle auszugleichen, müssen Zusatzschichten geplant werden. Daher ist es aus Planungsperspektive hilfreich, solange Störungen nicht gänzlich vermieden werden können, die Häufigkeit ihres Auftretens abschätzen zu können.
Dafür eignet sich die prädiktive Analytik – ein mögliches Anwendungsfeld für Machine Learning, bei dem logistikrelevante Phänomene oder Werte als sogenannte „Labels“ aufgrund von datenbasiert verfügbar gemachten Eigenschaften des Prozesses (sog. „Features“) vorhergesagt werden. Zu diesem Zweck werden die einzelnen Tage in Häufigkeitsklassen je nach Anzahl aufgetretener Störungen mit Qualitätseinfluss eingeteilt. Anschließend muss ein geeigneter Algorithmus ausgewählt und mit einem möglichst aussagekräftigen Trainingsdatensatz aus Prozessdaten vergangener Perioden trainiert werden. Daraufhin kann der Algorithmus genutzt werden, um unter sich verändernden Rahmenbedingungen zuverlässige Aussagen über die Wahrscheinlichkeit von Störungen an den nächsten Arbeitstagen abzugeben.
Der Ansatz wurde mit fünf verschiedenen Algorithmen des Machine Learning an einem innerbetrieblichen Logistiksystem (Bild1) getestet. Ein Entscheidungsbaum-Algorithmus konnte sich als das geeignetste Verfahren durchsetzen. Basierend auf den Ergebnissen ließ sich nachweisen, dass Machine-Learning-Modelle aus den vorhandenen logistischen Prozessdaten qualitätsbezogene Zusammenhänge erlernen können. Diese Zusammenhänge ermöglichen die präzisere Vorhersage von Störungen, bezogen auf einen bestimmten Zeitraum. Dadurch können entsprechende Gegenmaßnahmen zielgerichtet vorbereitet werden. Aufgrund dieser Erkenntnisse lässt sich festhalten, dass Machine Learning dazu verwendet werden kann, relevante Prozessindikatoren für eine vorausschauende Planung und Steuerung vorherzusagen.
Anwendungsbeispiel 2: Priorisierte Empfehlungen zur Leistungs- und Effizienzoptimierung anhand definierter Ursachenklassen
Die Notwendigkeit der automatischen und fortlaufenden Überwachung, Analyse und Verbesserung von Logistikprozessen gehört für viele Unternehmen zum täglichen Betriebsablauf. Jedoch fehlt es Unternehmen oft an Zeit und Ressourcen, um diese Aufgaben umfassend zu erfüllen. Daher empfiehlt es sich, diesen Prozess zu automatisieren, um auf Basis der vorhandenen Prozessdaten automatisch Optimierungspotenziale und konkrete Ursachenklassen zu identifizieren.
Voraussetzung für diese Anwendung sind die systematische Verarbeitung von Prozessdaten mittels Struktur- und Meta-Informationen zu relevanten Prozessinformationen sowie die anschließende Abweichungsanalyse definierter Spitzenkennzahlen. Basierend auf der Festlegung von relevanten Ursachenklassen, können von Prozessexperten durch Zuordnung Zusammenhänge festgestellt werden. Diese Ursachenklassen werden anschließend mit den aufbereiteten Prozessdaten verbunden. Unter Anwendung von Algorithmen des Machine Learning lassen sich somit automatisiert Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen und Klassen erlernen. Auf diese Weise können Prozessdaten aus unterschiedlichen Informationssystemen im laufenden Betrieb kontinuierlich überwacht werden. Zudem lassen sich Optimierungspotenziale für Leistung und Effizienz auf Basis einer Abweichungsanalyse ohne menschliches Zutun ermitteln sowie konkrete Ursachen im Prozess zeitlich und örtlich aufdecken. Diese Ergebnisse ermöglichen den Prozessverantwortlichen die Ableitung von konkreten Handlungsempfehlungen auf Basis automatisiert bestimmter Ursachen.
Die Anwendung von drei geeigneten algorithmischen Verfahrensklassen zeigte eine hohe erzielbare Genauigkeit der automatisierten Zuordnung von Ursachenklassen zu Prozessinformationen. Somit unterstützt das Vorgehen durch automatisierte Analysen die aufwandsarme, kontinuierliche Verbesserung eines Logistikprozesses (Bild 2).
Ergebnisse und Kontakt
Die erzielten Ergebnisse zeigen zwei unterschiedliche Ansätze zur Nutzung datenorientierter Methoden auf Basis von Prozessdaten aus Informationssystemen zur Planung und Steuerung der Logistik. Diese konnten bei zwei konkreten Fällen auf der Grundlage der erarbeiteten Schritte aus dem Vorgehensmodell angewendet werden. Darüber hinaus wurden in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten weitere Ansätze und Methoden beschrieben, die innerhalb der Forschungskooperation untersucht wurden. Als Projektpartner kooperierten der Lehrstuhl fml der Technischen Universität München (Leitung: Prof. Dr.-Ing. Johannes Fottner) und das TZ PULS der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut (Leitung: Prof. Dr.-Ing. Sebastian Meißner). Auf der Basis des Vorwissens und der unterschiedlichen Expertengebiete in der Intralogistik, der Prozessanalyse sowie des Know-how im Bereich Data Science konnten gemeinsam komplexe Lösungsansätze entwickelt werden.
Maximilian Wünnenberg
Konstantin Mühlbauer
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