Digitale Kranwartung – clever gelöst

Auf der Suche nach einer schnellen, einfachen und papierlosen Methode

Im Mittelpunkt einer Forschungskooperation steht die Erarbeitung von Wartungsstrategien für Krane im maritimen Umfeld. Gezeigt wird, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet, aktuelle Kranakten zu erstellen und in der Praxis zu nutzen.

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Kran-Einsatzgebiet maritimes Gewerbe Bild: Ralf Geithe/stock.adobe.com
Kran-Einsatzgebiet maritimes Gewerbe Bild: Ralf Geithe/stock.adobe.com

Das Warten von Krananlagen ist durch einen hohen Grad manueller Tätigkeiten geprägt. In der maritimen Branche fordern extreme Arbeitsbedingungen und Anlagen im fortgeschrittenen Alter das Wartungspersonal (Bilder 1 und 2). Wiederum steigt seit Jahren die Komplexität neuer Krane und Bauteile. Die vorzufindende Digitalisierungsspanne wächst zunehmend. Die Überprüfung von Kranen ohne Sensorik muss ebenso wie die Wartung bereits digitalisierter Kransysteme gewährleistet werden. Der Status quo der Wartungsarbeiten spiegelt oft noch traditionelle Ansätze wider, die auf vordefinierten Plänen und regelmäßigen Inspektionen basieren. Diese turnusmäßigen Wartungsroutinen können jedoch ineffizient sein, da sich Anlagen- und Materialzustände jederzeit ändern. Eine beschädigte Krananlage bedeutet eine große Gefahr für im Umfeld arbeitende Menschen. Zudem führt der Ausfall zu Produktionsstillständen, da Krananlagen wichtige Transporttätigkeiten übernehmen. Durch die Implementierung von innovativen Methoden und Werkzeugen innerhalb der Planung, Steuerung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von Wartungstätigkeiten wird eine medienbruchfreie Vernetzung der heterogenen Systemlandschaft angestrebt.

Ziel der Forschung: Digitale Assistenzsysteme

In Kooperation zwischen dem Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik (IGP) Rostock und einem regionalen KMU (KIS Kran- und Industrieservice GmbH Wismar) wurden innovative Digitalisierungsmethoden im Bereich der Kranwartung in der maritimen Branche entwickelt und getestet. Die Forschungstätigkeiten befassen sich im Kern mit der anwendungsorientierten Entwicklung und Nutzung von digitalen Assistenzsystemen. Hierbei werden einerseits diverse Herausforderungen, wie etwa Witterungsbedingungen, Akzeptanz und Standardisierung, begegnet. Andererseits ergeben sich durch den Einsatz vielfältige Chancen, z.B. in Form von Prozessverschlankungen, Produktivitätssteigerung und der Verbesserung des Wissensmanagements in Zeiten des Fachkräftemangels. Zu den konzipierten Ansätzen zählt die digitale Kranakte, die als Cloud- und Webanwendung zahlreiche Herausforderungen und Potenziale adressiert. Mithilfe von mobilen Endgeräten kann die Durchführung der Wartung optimiert und die digitale Kranakte im operativen Einsatz genutzt werden.

Konzept einer digitalen Kranakte

Im Fokus der Tätigkeiten standen Kransysteme des maritimen Gewerbes. Die Leistungen adressieren ein breites Spektrum von Wartungs- und Instandhaltungstätigkeiten bis hin zu Unfallverhütungsvorschrift (UVV)-Prüfungen. Die Verwendung von historischen Daten war begrenzt. Ein idealisierter Ablauf der Wartung ist im Bild 3 dargestellt.

Für die Datenhaltung und -verfügbarkeit sollte eine allgemeingültige Kranakte aus den erfassten Prozess- und Stammdaten abgeleitet werden. Diese fungiert als Schnittstelle zwischen den administrativen Planungstätigkeiten und den operativen Wartungs- und Dokumentationsprozessen. Der aktuelle Zustand des Krans wird erfasst und für Top- und Shopfloor verfügbar gemacht. Um die Potenziale von Assistenzsystemen im Kontext maritimer Kranwartung zu adressieren, wurde ein spezifischer Use-Case definiert. Dieser diente als Grundlage für Erweiterungen durch Remote- oder auch visuelle Unterstützung via Augmented Reality (AR)-Brillen oder anderen Displays. Um eine einfache Identifikation und somit eine Zuordnung der aktuell angesetzten Wartung zum Kran zu ermöglichen, wurden verschiedene automatische Identifikationsverfahren auf Eignung vor allem im Werftumfeld untersucht (Bild 4). Hier wurde ein großes Optimierungspotenzial bei der Unterstützung des Personals z. B. durch. bildbasierte Dokumentation von Fehlerstellen erkannt.

Die Analyse brachte hervor, dass in einigen Fällen das bereitgestellte Informationsmaterial in Form von einfach auszufüllenden Listen für den Einsatz nicht ausreichte und so der entsprechende Mitarbeiter im Nachgang eventuelle Handbücher oder weitere Dokumentationen konsultieren musste. Auch hier stellt eine höhere verfügbare Informationsmenge, z.B. per Cloud, ein hohes Verbesserungspotenzial dar. Für die Verfügbarkeit von Daten und zur Unterstützung des Wartungspersonals wurde eine Analyse zur Verwendung von mobilen Endgeräten durchgeführt. Die Ergebnisse lassen die Aussage zu, dass durch die Integration von Smartphones und Tablets bei entsprechender Ausstattung (Kamera, passende Bildschirmgröße, Robustheit) eine wesentliche Verbesserung im Vergleich zu den aktuellen Bereitstellungs- und Dokumentationstechniken eintritt. Mit Hilfe einer cloud-basierten Wartungsassistenz konnten Live-Ergebnisse sowie Reparaturmaßnahmen angezeigt und entsprechend schnell reagiert werden. Da die physische Ausprägung der Krane und somit auch die Anforderungen an die Wartungseinsätze höchst unterschiedlich sind, dienen die im Wartungseinsatz genutzten Checklisten als zentrales Dokumentationselement (Bild 5).

Um die Verfügbarkeit von Informationen u.a. für spätere Einsätze zu gewährleisten, wurde ein verfahrensspezifisches Datenmodell konzipiert. Dabei können geräteunabhängig alle Daten zu einem spezifischen Kran standardisiert gespeichert und abgerufen werden. Ergänzt wurde dies um die Möglichkeit zum Upload von Fotos und Dokumenten, um so ein möglichst vollständiges digitales Abbild der realen Anlage zu erreichen. So können beispielsweise Wartungsmitarbeiter bereits im Back-Office das Erscheinungsbild des Krans oder auch die Zugänglichkeit der Anlage erfassen. Die Gestaltung der Checklisten ist dabei dynamisch. Ändert sich die Infrastruktur, kann dem Rechnung getragen werden, so dass weiterhin alle notwendigen sowie nur relevante Daten zur Verfügung stehen.

Ebenfalls Teil der Untersuchungen war, wie spezifische Algorithmen die Planung der Wartungseinsätze vereinfachen können. Basis hierfür bildete eine digitale, jedoch sehr statische Ausgangssituation, in der Wartungsintervalle und letzte Wartungen in einer Exceldatei vermerkt wurden. Diese wurde proaktiv nach anstehenden Wartungen durchsucht. Mit der Überführung der Informationen in die digitale Kranakte entsteht die Möglichkeit, über Algorithmen, die mit dem krantypischen Wartungsintervall und Daten aus der zuletzt durchgeführten Wartung den nächsten Termin berechnen, die Mitarbeiter über anstehende Einsätze zu informieren. Hinzu kommt die Berücksichtigung von zuvor erfassten Zusatzdaten, die bei Neuplanung berücksichtigt werden können.

Hohe Datenverfügbarkeit erforderlich

Im Rahmen der operativen Aktivitäten ist eine hohe Datenverfügbarkeit Voraussetzung. Herausfordernd sind dabei die Störfaktoren in der maritimen Umgebung, etwa isolierte Hallenwände oder abgelegene Einsatzorte. Bei den analysierten Wartungseinsätzen war eine stabile Netzabdeckung und somit eine Online-Übertragung der erhobenen Daten bei einem Großteil der Anlagen möglich. Die dadurch gewonnenen Live-Daten wurden analysiert, um aus den Informationen Algorithmen zur Ableitung des Auftragsstatus sowie der Einsatzzeiten zu ermitteln.

Nach der Evaluation und der Analyse der Netzabdeckung bei Wartungseinsätzen wurde die Variante der vollständigen Online-Verfügbarkeit weiterentwickelt. Hier bietet sich der Vorteil, dass auch Kran-Neuaufnahmen ohne eine zuvor angelegte Kranakte durchgeführt und die Ergebnisse direkt im Leitstand weiterverarbeitet werden können. In der entwickelten Anwendung ist die Kommunikation zwischen Leitstand und Enterprise Resource Planning (ERP) System über Austauschformate möglich. Als Fallback wurde eine Zwischenspeicherung implementiert, bis eine stabile Verbindung gewährleistet werden kann.

Durch die Digitalisierung und Integration aller Vorgänge in eine Cloud-Lösung konnte der bisherige Wartungsprozess entscheidend verbessert werden. Dank der umfassenden Evaluierung des Gesamtsystems mithilfe des Funktionsmusters ließ sich die technische und organisatorische Umsetzbarkeit des Ansatzes nachweisen. Gleichzeitig wurde bewiesen, dass durch das System neue Fachkräfte in der Lage sind, die Kranwartung mit minimalem Einweisungsaufwand durchzuführen. Auch für erfahrene Fachkräfte stellt das erhöhte Informations- und Datenangebot einen signifikanten Mehrwert dar.

Die Optimierung mithilfe der digitalen Kranakte ergibt sich mit der Schaffung eines tätigkeitsbezogenen Informationsangebots in der gesamten Kette. Darauf aufbauend, entstehen Erweiterungspotenziale durch den Ausbau der Anwendung und durch die Zunahme weiterer Assistenzsysteme. Herausforderungen liegen hierbei vor allem im Bereich der Reduzierung von Ausfällen bei Mensch und Maschine. Der Einsatz von Assistenzsystemen kann dem entgegenwirken, was bei weiterführenden Projekten evaluiert wird. Weitere bereits getestete Erweiterungsmöglichkeiten bestehen im flächendeckenden Einsatz von AR-Technologien (Bild 6). Vor allem für Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen lassen sich diese Technologien nutzen. Im operativen Geschäft fehlt es aktuell an technologischer Reife, nicht zuletzt durch die bestehenden Sicherheitsbestimmungen. Der Einsatz von nachgelagert eingebrachter Sensorik (Retrofit) ist punktuell sehr wertvoll, um vorgegebene Grenzwerte der Maschinen zu überwachen und eine vorausschauende Wartung zu ermöglichen. Zudem können mit Retrofit die Bedienung der Anlagen verbessert und Unfälle reduziert werden.

Vor allem an abgelegenen Standorten mit widrigen Bedingungen müssen die Prozesssicherheit und das körperliche Wohlbefinden gewährleistet sein. Aufgrund dessen finden Mensch-Maschine-Interaktionen vermehrt in der Nutzung von Humandaten eine Erweiterung. Die Auswertung biosensorischer Daten kann befähigt werden, um Hinweise auf Grenzzustände zu geben. Die Reduzierung von Gefahren, die aus Unachtsamkeit oder erhöhtem Stresslevel resultieren, steht im Mittelpunkt. Die Einführung und Nutzung der digitalen Kranakte bieten somit einerseits die Möglichkeit, die Kommunikation und die Nachhaltigkeit der Prozesse zu verbessern. Andererseits bilden sie die Grundlage für vielfältige Erweiterungsoptionen.

Resümee und Ausblick

Die Wartung von Kransystemen im maritimen Gewerbe ist von alten Anlagen und rauen Bedingungen geprägt. Aktuell ist die Kommunikation zwischen Top- und Shopfloor-Ebene oftmals zeitverzögert und starr, so dass kein durchgängiger Austausch entsteht. Die Branche setzt sich daher zunehmend mit der Einführung von digitalen Assistenzsystemen unter diesen speziellen Bedingungen auseinander. Die Wartungstätigkeiten und die einhergehende Dokumentation im betrachteten Einsatzgebiet können als manuelle Prozesse mit vorwiegend analogen Technologien beschrieben werden. Hier können digitale Assistenzsysteme die Wertschöpfung erhöhen, wie die beschriebenen Forschungsaktivitäten zeigen. Mithilfe der digitalen Kranakte lassen sich interdisziplinäre Aufgaben miteinander verknüpfen und redundante Tätigkeiten reduzieren.

Der Einsatz von mobilen Endgeräten und dynamischen Webanwendungen ist die Grundlage für die effiziente Informationsbeschaffung und -bereitstellung. Hieraus ergeben sich chancenreiche Erweiterungspotenziale. Die in der Kranakte gesammelten Daten können genutzt werden, um die Verknüpfung indirekter und direkter Bereiche zu verbessern. Die Branche steht auf dem Entwicklungspfad zu einer intelligenten Wartung und Instandhaltung am Anfang.

Prof.Dr.-Ing. Jan Sender

Prof.Dr.-Ing. Jan Sender
Leiter des Lehrstuhls für Produktionsorganisation und Logistik 
an der Universität Rostock

Marten Stepputat

Marten Stepputat
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Großstrukturen 
in der Produktionstechnik (IGP) Rostock

Jan Tschirner

Jan Tschirner
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Großstrukturen 
in der Produktionstechnik (IGP) Rostock

Dr.-Ing. Konrad Jagusch

Dr.-Ing. Konrad Jagusch
Gruppenleiter am 
Fraunhofer-Institut für Großstrukturen 
in der Produktionstechnik (IGP) Rostock

· Artikel im Heft ·

Digitale Kranwartung – clever gelöst
Seite 58 bis 60
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